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Die kürzeste Nacht

„Die Gefühle haben Schweigepflicht …“, trällert es aus den Boxen beim Pavillon. Daneben gibts Getränke, Hotdogs und Kotelettsemmeln. Die Bierbänke davor sind gut gefüllt, obwohl es noch fast eine Stunde bis zum Höhepunkt des Abends dauert. Dann soll der mehrere Meter hohe Scheiterhaufen entzündet werden, auf dessen Spitze eine Stoffhexe eingeklemmt ist.
„… was ich für dich fühle zeig ich nicht …“. Dass hier gleich eine Frau symbolisch verbrannt wird, scheint niemanden zu stören. Auch nicht die Ironie, dass dieses seltsame Nachspielen christlicher Brutalität ausgerechnet bei einer heidnischen Sonnwendfeier stattfindet. Zwei dutzend Kinder laufen aufgeregt um den Holzhaufen. Über Lautsprecher bedankt sich eine der Organisatorinnen fürs Kommen und verspricht, dass bald entzündet werde.
„… tausendmal hast du mich berührt …“. Die Kotelettsemmel ist fettig, das Bier kälter als erwartet. Ein Fackelzug formiert sich, Kinder reihen sich ein. Drei Mal umrunden sie den Scheiterhaufen. Dann werden die Fackeln auf die mit Brandbeschleuniger getränkten Stellen gesenkt. Es knistert und raschelt. Die Flammen züngeln zwischen den Scheiten und Holzabfällen. Nach wenigen Minuten ist die Hitze bei den weit abseits des Feuers stehenden Bierbänken zu spüren. Dann steht auch schon die Hexe in Flammen. Bald ist nur mehr das kreuzförmige Gerüst der Stofffigur zu sehen. Es ist jetzt so heiß, dass einige etwas abrücken. Der Höhepunkt ist erreicht. Der Haufen beginnt schon zusammenzufallen.
„… und jetzt ist es passiert.“. Die ersten Familien verlassen das Fest. Es ist dunkel geworden. Feuerwehrmänner sorgen dafür, dass alles im Rahmen bleibt: Sobald sich die Flammen ein Stück in die Wiese fressen, setzen sie die Löschspritze in Gang. Zwischendurch dürfen ein paar Kinder Wasser in die Büsche pritscheln. Bald ist nur mehr ein Gluthaufen übrig. Das Fest geht weiter.
(Gföhl/sl)

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