November 2020: Adil und ein halbes Dutzend weitere Kurgäste sind längst im Herbst-Lockdown. Sie alle haben gerüchteweise beim selben positiv getesteten Therapeuten geturnt. Ich habe das Zimmer direkt neben Adil, am Ende des Trakts. Hier draußen im Niemandsland Niederösterreichs gibt es nichts zu tun. Ich kann das wenigstens vor dem Haus oder im hauseigenen Café machen. Adil ist auf die zwölf Quadratmeter seines Zimmers beschränkt, auf die Glotze und den faden Ausblick auf den Geräteschuppen. Einmal schaffe ich es, vor dem Frühstück an seiner offenen Türe vorbeizuhuschen. Der Mittvierziger wird gerade von einer Zimmerdame versorgt. Sie trägt einen Wegwerfschurz über der Arbeitskleidung und eine FFP2-Maske, Adil Simmeringer Dress (Trainingshose, Leiberl). Ich nicke ihm über ihre Schulter hinweg zu und versuche ein aufmunterndes Daumen-hoch. Adil nickt zurück, müde lächelnd.
Vorm Speisesaal wartet wieder Herrn Karls Reinkarnation und schwadroniert über Asyl, Grüne und den Anschlag vom Vorabend. Ich frage mich nicht zum letzten Mal während der Rehab, ob ich nicht einfach quer durch den Saal gehen und ihm meine Suppe in den Schritt kippen soll.
Mein Therapieplan sagt Fahrradergometer. Die anderen Zombies stacheln mich an, zehn statt fünf Watt mehr einzustellen. Ich stehe bei 130 Watt und bin damit formal der Fitteste in der Runde. Ich sterbe, bin aber zu stolz, um herunterzuschalten.
Wandergruppe 2 wird nach dem Spaziergang vom berüchtigten Discobus abgeholt. Mich erwischt die Antwort wie eine Offenbarung. Es ist die Antwort auf die nie gestellte Frage, ob das wichtigste Verkehrsmittel am Land Corona überstanden hat.
Jeden Abend gönne ich mir ein Merci. Montag blau. Dienstag rot. Mittwoch grün. Die Schachtel dient als Kalender für die Dauer der Rehab.
Adil telefoniert viel.
(Hochegg/zs)