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Die Gelbe

Der Nachbar pfeift und schnalzt und leert über den hinteren Gartenzaun Essensreste in den Zwinger. Da steigt Žuta – die Gelbe – aus ihrer Hütte. Sie humpelt zu dem Misthaufen und schmatzt ihn kurzerpfote weg.
Vor vielen Jahren stand das Gartentor offen. Dort führt eine Stiege direkt zum Haustor hinab, das auch offenstand. Žuta lief auf die Straße, da erwischte sie ein Auto. Eigentlich war der linke Hinterlauf verloren. Doch anstatt ihn zu amputieren, nähten die Tierärzte ihn notdürftig an. Seither baumelt das nutzlose Bein am ohnehin zarten Hund wie ein zweiter Schwanz. Ansonsten kam Žuta gut davon. Jetzt checken alle das Gartentor mehrfach und ziehen es bewusst hinter sich zu. Immer wieder trottet Žuta den Weg am Haus entlang zum Tor und empfängt alle dahinter mit freundlichem Gewinsel.
Žutas Langzeitgefährtin Bela – die Weiße – ist nicht mehr. Auch die Alpha des Trios – Beta, keine Farbe – ist tot. Sie wurde bei der Sanierung des Erdgeschosses von einer Fliese erschlagen. Böse Zungen behaupten, das sei kein Unfall gewesen; die Fliese sei dem Handwerker nicht einfach ausgekommen.
Der Bernhardiner, der in den 60ern hier Wache hielt, soll träge gewesen sein. Schäfer Vučko war eine aggressive Kretzn. Einmal biss er meinem Onkel beim Füttern in den Arm. Niemand traute sich in den Garten, wenn der Zwinger offen war, nur mein Onkel. Mittlerweile ist aus dem Garten wieder ein Kleinod geworden, das sich Mensch und Žuta teilen.
„Die Nachbarn?“, fragt mein Onkel nach der Fütterung. „Die zwei Oldies sind tierlieb. Hatten mehrere Katzen, Hunde und Hühner, die friedlich miteinander aßen.“
Da erinnere ich mich schlagartig ans Hühnergeschrei, das mich in meinen Schulferien immer wieder zuverlässig weckte – mitten in der weißen Stadt.
Žuta hält die Stellung. Und begrüßt uns jeden Morgen schwanzwedelnd.
(Belgrad/mm)

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