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Zwischen Schachteltürmen

Im hinteren Teil des Cafés klacken Billardkugeln. Ansonsten ist es ruhig – und das, obwohl im Sperlhof die letzten Tage einer Ära angebrochen sind. Nach ein paar Minuten kommt Herr Sommer – gelassen und höflich wie immer – und bittet um Ausweis und Impfnachweis. Er selbst trägt FFP2-Maske, während er Gäste bedient.
Bis die Melange kommt, dauert es ein bisschen. Eile hat Herr Sommer keine mehr. Auf den meisten Tischen stehen „Reserviert“-Schilder. Ein Gast, der soeben hereingekommen ist, sieht sich unschlüssig um, bis Herr Sommer ihn darauf aufmerksam macht, dass die Tische für später bestellt sind. Das Telefon klingelt. Eine weitere Reservierung für einen der nächsten letzten Abende mit Herrn Sommer im Sperlhof.
„Viel Arbeit“, beantwortet er die Frage danach, wie die letzten Tage in seinem Café für ihn verlaufen. Abends sei sehr viel los, da komme er nicht dazu, sich mit jemandem zu unterhalten. Und heute sei schon das Fernsehen dagewesen. Wie es weitergehe mit dem Lokal? Es wird übernommen, sagt Herr Sommer, doch was die Neuen vorhaben, weiß er nicht. So genau wollte er auch nicht nachfragen, man werde es ja sehen. Er selbst habe in den vergangenen 35 Jahren wenig am Café verändert. „Nur die Spiele, das schon …“, sagt er und erzählt, wie sich die Zusammensetzung der Gäste im Lauf der Jahre geändert habe – nicht zuletzt dank der etwa tausend Gesellschaftsspiele, die neben den Tischen anderthalb Meter oder höher aufgestapelt stehen.
Einmal noch schweift der Blick über diese Schachteltürme. Jedes Mal, wenn man eines ausprobieren wollte, fand sich das gesuchte Spiel ganz unten in einem der wackligen Stöße. Herausziehen oder ein anderes wählen? Heute stellt sich die Frage nicht mehr. Die Melange ist ausgetrunken. Es war wohl für längere Zeit der letzte Besuch. In wenigen Tagen serviert Herr Sommer zum letzten Mal im Sperlhof.
(Wien/sl)

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